Hornow, d. 11.09.1902
Am 11.06. dieses Jahres, dem Tage der Hochzeit des Patrons hiesiger Kirche, des königlichen Landrates Herrn Dokt. Jur. Erwin Wilkins auf Hornow, mit Frl. Marie Weydmann, älteste Tochter des bereits verstorbenen Herrn Direktor Weydmann aus Berlin, wurde der Turmbau begonnen. Morgen soll der Turmkopf aufgesetzt werden.
Die Gesamtkosten des Turmbaus und der beabsichtigten Restauration der Kirche trägt der Herr Patron. Die bunten Fenster jedoch sollen in dem Kreise beschafft werden, das erste von Frau Hauptmann Ella von Gliezinski geb. Wilkins auf Kl.-Loitz, das zweite, Frau Rittmeister Else von Jena geb. Wilkins auf Jahmen O/L (erste die ältere und die andere die jüngste Schwester des Herrn Patron), das kleinere, Herr Ritterguts und Fabrikbesitzer Otto Nitschke in Spremberg bzw. auf Wadelsdorf, bestellen lassen. Das Fenster neben der Kanzlei stifte ich in Gemeinschaft mit meiner Frau Rose-Katharina geb. Bellmann. Eine kleine Glocke stiftete Herr Rittmeister von Jena aus seinem Schloss Jahmen O/L.
Der Bauplan ist von Herrn Johannes Römmler aus Spremberg z. Z. in Guben gefertigt. Der Bauunternehmer ist Herr Maurer und Zimmermeister Mittag in Spremberg. Der Bauleiter Herr............. Ehemann in Spremberg und als Polier, führt den Bau aus Herr Nothnick aus Heinrichsfeld bei Spremberg.
Zur Zeit befinden sich die vorhandenen 3 Glocken noch in dem baufällig gewordenen hölzernen Glockenstuhles der nordöstlich vor der Kirche steht. Die Orgel unserer Kirche wurde im Jahre 1876 von dem verstorbenen Patron, Herrn Rittmeister Robert Wilkins, zum Andenken an seine Gemahlin Frau Ernestine Wilhelmine Helene Wilkins geb. Kielemann, gestiftet. Sie wurde vom Orgelbauer Richter in Spremberg gebaut, musste aber nicht lange nach der Erbauung von dem Orgelmeister Sauer aus Frankfurt/O in dem Maße repariert werden, dass nur einige Stücke der selben gebraucht werden konnten. Die Kosten sind von dem Patronat getragen worden.
Unser Kruzifix, sowie die Altar- und Kanzelbekleidung sind Geschenke des Herrn Hauptmanns und der Frau Hauptmann von Gliezinski aus Kl. Loitz und die silberne Abendmahlskanne wurde von Herrn und Frau Rittmeister von Jena auf Jahmen O/L, z. Z. noch in Berlin, geschenkt. Die Altar- und Kanzelbekleidung habe ich in Gemeinschaft mit meiner Frau beschafft. Das Abendmahlsgerät zum Gebrauche bei Krankencommunionen hat Frl. Jenny Heinze, Tochter des Herrn Robert Heinze auf Rittersgut Bohsdorf gestiftet.
Die drei Hornower Kirchenglocken hingen bis zum Jahre 1902 auf einem hölzernen Glockenstuhl neben der Kirche. Dann wurden sie auf den neuerbauten Kirchturm gebracht und durch eine 4. kleine ergänzt. Dort klangen die Glocken aber nur bis zum Jahre 1917. Dann wurden zwei der vier als Rüstungsreserve an das Gaswerk der Stadt Spremberg gegeben, von wo aus sie ihren Weg in die Rüstungsindustrie nahmen.
Über die Emotionen, die sich mit dieser Glockenabnahme verbanden, wird in den Unterlagen nichts berichtet. Da Hornow als absolut kaisertreu galt, kann man wohl annehmen, dass das ganze als vaterländische Pflicht angesehen wurde.
Nach dem Krieg begann ein umfangreiches Nachfragen, wo die Hornower Glocken geblieben sind. Behörden, Institutionen, Ministerien antworteten immer das Gleiche: Es gibt keinen Hinweis auf den Verbleib.
Im Jahre 1920 begannen sich die Hornower nach einer neuen, großen Glocke umzusehen. Bis 1924 wurden Angebote von den verschiedensten Gießereien eingeholt. Der Vertrag wurde mit der Firma Ullrich in Apolda abgeschlossen. Doch schon nach wenigen Wochen zeigte sich, dass es wohl den Wunsch nach einer neuen Glocke gab, dass es aber letztendlich am Willen und an der Kraft fehlte, diesen Wunsch auch zu realisieren.
1926 erinnerte die Firma Ullrich an ihren Vertrag und im Jahre 1928 setzten tatsächlich breite Aktivitäten zur Anschaffung einer neuen Glocke ein. Es wurden Glockenabende, Wohltätigkeitsfeste und Sammlungen durchgeführt, die dazu beitrugen, dass am 21. Mai 1932 der endgültige Liefervertrag abgeschlossen werden konnte. Am 8. September 1932 traf dann tatsächlich die neue Glocke in Döbern ein.
Ein festlicher Zug mit Schulkindern, Posaunenchor und Mitgliedern kirchlicher
Körperschaften empfing sie an der Hornower Ortsgrenze mit Blumen und Girlanden,
worüber im Spremberger Anzeiger vom 10.09.1932 ein begeisterter Bericht
erschien.
Am Erntedanktag 1932 wurde die neue Glocke mit der Inschrift:
"Krieg riss mich vom Turm,
mit 52 fiel ich im Sturm,
Liebe hat mich erneut,
Friede sei mein Geläut"
eingeweiht.
Doch jetzt begannen die Probleme erst richtig. Am 10.12.1932 konnten noch einmal 100 Mark als Rate gezahlt werden. Doch dann ist man in Verzug geraten. Die ersten Mahnungen kamen und erneute Sammlungen erbrachten nur wenige Mark. Am 25.05.1937 drohte massiv die Pfändung der Glocke, aber der Pfarrer erwirkte mit einem flehentlichen Bittgesuch noch einmal einen Aufschub. Am 05. Februar 1938 war es dann geschafft. Die Glocke war bezahlt.
Nach zwei Jahren war das Schicksal der Glocke schon wieder beschieden. Am 03. April 1940 legte das Reichswirtschaftsministerium seine Hand auf alle deutschen Kirchenglocken. Sofort gab es hektisches Bemühen, die Hornower Kirchenglocken herauszubekommen, aber es wurden keine Ausnahmen gemacht. Der für Deutschland 1940 erfolgreich verlaufende Krieg führte allerdings dazu, dass die Abnahme der Glocken auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben wurde. Durch den Krieg jedoch wurden die Männer knapp, die die Glocken läuten konnten. Deshalb wurde eine elektrische Läutemaschine bestellt.
Am 07. November 1941 verfügte schließlich der Reichswirtschaftsminister die Abnahme der Glocken. Trotz der strikten Anweisung, dass von allen Kundgebungen zur Glockenabnahme abzusehen ist, läuteten die Hornower Glocken eine Stunde lang unter der letzten vollen Läutemannschaft, Erwin Krollig und Kurt Pogan an der großen Glocke, Bernhard Schwella an der mittleren und Rudolf Krollig an der kleinen Glocke, bevor die große und die kleine Glocke am 05. Februar 1942 abgenommen wurden. Über Jahre hinweg tönte nur noch der einsame Klang der letzten verbliebenen Glocke über das Dorf.
Der Krieg ging zu Ende und der gleiche Mann, der 1917 die Glocken hergeben musste, 1919 nach ihnen forschte, über Jahre um eine neue Glocke kämpfte, sie 1932 bekam und 1942 schon wieder hergeben musste, fing erneut seine Suche an: Wo sind die Hornower Glocken? Über Jahre war über den Verbleib nichts festzustellen.
Doch am 07. Juni 1948 traf ein überraschender Brief ein. Eine der Hornower Glocken ist im Glockenlager Oranienburg gefunden worden und wurde nach Hornow geschickt. Voller Spannung und Freude wartete man in Hornow, doch die Glocke kam nicht. Stattdessen kam einige Tage später ein Brief aus Horno bei Guben. Es war falsch geliefert worden. Von dort wurde sie dann geholt und erst jetzt wusste man, dass es die kleine Glocke war.
Die große Glocke, die von 1932 bis 1942 nicht einmal ganz 10 Jahre Frieden
läutete, wurde nicht mehr gefunden, so dass man davon ausgehen musste, dass
dieses Instrument des Friedens letztlich zu einem Werkzeug des Krieges
umgeschmiedet wurde.
Wer von Spremberg aus nach Osten fährt, erblickt irgendwann von einer kleinen Anhöhe aus linker Hand einen wuchtigen Kirchturm von ungewohnter Architektur. Das bringt manchen dazu, doch einmal in unser Dorf zu fahren. Dieser kleine Umweg, für den vielleicht nur zwei Minuten eingeplant waren, kann zu einer größeren Pause werden, nämlich dann, wenn man sich wagt, einen Einheimischen auf die Rätsel dieser Kirche hin anzusprechen. Schon bald leuchtet dem Fragenden der Stolz auf unsere Hornower St.-Martins-Kirche entgegen. Und dann wird erzählt, Historisches, Legendenhaftes, Kirchliches und viel Persönliches.
So mancher Schalk im Dorf lässt den ahnungslosen Besucher raten, wie alt der Kirchturm ist, und genießt dann die Überraschung, dass es nicht um 800, 500 oder 300 Jahre geht, sondern nur um 89 Jahre. Der Kirchturm ist im Jahre 1902 an die bis dahin turmlose kleine Dorfkirche angebaut worden; in beachtlichen Dimensionen, 36 Meter hoch, mit einer Grundfläche, die ein Drittel des Kirchenschiffes ausmacht; in noch beachtlicherer Bauzeit. Drei Monate wurden benötigt, um dieses Bauwerk vom Fundament bis zum Turmknauf zu errichten.
All die Flicken, die das Mauerwerk scheinbar in Jahrhunderten erhalten hat, sind vom Architekten fein säuberlich geplant und von gewissenhaften Handwerkern so ordentlich ausgeführt worden, dass sich die meisten Besucher täuschen lassen.
Aus dem Wissen um die kurze Bauzeit ergibt sich häufig die nächste Frage: Wie haben die das damals nur gemacht, in so kurzer Zeit ohne Technik eine solche Menge von großen Feldsteinen zu verarbeiten. Und wieder gibt es eine Überraschung. Die großen Steinflächen in 20 Meter Höhe sind nicht die Leistung besonders starker Handlangerarme, sondern die Leistung eines besonders pfiffigen Architektenhirns. Die Steine sind nicht, was sie scheinen zu sein. Es handelt sich hier nur um 5 cm starke Granitplatten, die außen auf das Mauerwerk aufgesetzt wurden. Der Turm sollte so aussehen, als würde er schon 1000 Jahre stehen.
Und nun gibt es ein Kuriosum, das uns zeigen kann, wie schnell Legenden entstehen und auch, wider historischer Erkenntnis, gern weitergegeben werden. Aus dem Mauerwerk des Turmes ragen einige fast runde Steine mit einem Durchmesser zwischen 15 und 20 cm heraus. Was hat es mit diesen auf sich? Ganz einfach, das sind steinerne Kanonenkugeln, die die Hussiten dort hineingeschossen haben. Hand auf´s Herz, wer würde so eine Geschichte nicht gern glauben?
In seinem Innern birgt der Turm ganz oben die zwei verbliebenen Glocken. Ganz unten umschließt der Turm den derzeitigen Gottesdienstraum der Kirchengemeinde. Einstmals als Kapelle geplant, dann aber zur Gedenkhalle für die Gefallenen des ersten Weltkrieges gestaltet, ist die Turmhalle heute, nach abgeschlossener Restaurierung im Jahre 1989, ein kulturgeschichtlich interessanter Raum von sakraler Würde. Doch bis der erste Choral in diesem Raum erklingen konnte, musste viel Mühe investiert werden.
Über Jahre hinweg verfiel der Turm zusehends. Der Wunsch nach Wiederherstellung war immer gegenwärtig, aber auch die Resignation hatte schon Fuß gefasst. Die Situation auf dem Bausektor war nicht ermutigend und die Gemeindesituation auch nicht. Dennoch wurde im Jahr 1986 mit der Rekonstruktion begonnen. Es gab all die üblichen technischen, materiellen, finanziellen und persönlichen Probleme, die mit jedem Bau verbunden sind. Aber es gab auch eine außerordentlich hohe Einsatzbereitschaft bei einigen Gemeindemitgliedern. Dies zog wiederum ein moralisches Problem nach sich: Ist es verantwortbar, dass sich auch nur ein Mensch seine Gesundheit für einen Bau ruiniert? Eine Frage, die bei jedem Bau gestellt werden sollte. Dennoch, allen Widrigkeiten zum Trotz, konnte der Turm, der in drei Monaten erbaut worden war, in drei Jahren rekonstruiert werden. Es gab viel Hilfe von vielen Seiten. Es gab erwartete Hilfe, die ausblieb, es gab überraschende Hilfe von unvermuteter Seite. Viele taten mit zu Gottes Ehre, viele halfen, um ein wertvolles Gebäude zu erhalten. Manche waren auch mit bei der Sache, um „denen“ zu zeigen, dass es doch geht.
Der Turm, wie er heute steht, entspricht dem Turm, der 1902 gebaut wurde, bis auf eine kleine Wesentlichkeit. Das Kreuz, das heute den Turmknauf ziert und den Turm um 1,5 Meter höher macht, wurde von uns Heutigen als Zeichen unseres Glaubens hinzugefügt.